Begegnung mit einem Vampir
24. Travia, 2508 Horas
Grim weckte uns in der Nacht. Er war aufgewacht, weil das Fenster sperrangelweit offen stand. Er hatte einen schwarzen Schatten im Fensterrahmen erkennen können. Er beschrieb uns ein großes zotteliges Wesen mit einem Rabenschnabel und stacheligen nackten Füßen. Wir bekleideten uns notdürftig und begannen nach Spuren zu suchen. Unter dem Schlafraum meiner Gefährten fanden wir tatsächlich „Fußspuren“. Sie sahen genauso aus, wie die, die ich die Nacht davor am Fensterbrett gefunden hatte. Kurz vor Morgengrauen erreichten wir – völlig außer Atem und fürchterlich durchgefroren – ein kleines abgeschiedenes Gehöft. Müde ließ ich meinen Blick schweifen. Irgendwie schien mir die Gegend hier so vertraut. Dann traf mich Hesinde mit voller Wucht: Wir waren beinahe in Isenhöh! So weit hatten wir dieses Etwas also verfolgt! Was tun? Der Mann schien uns nicht böse gesinnt zu sein, aber etwas war komisch an ihm. Warum hatte er uns im Schlaf beobachtet? Und dann hörten wir einen markerschütternden Schrei. Jeder von uns kannte diesen Schrei. Es war unser Gefährte, der in Schwierigkeiten war. Torben sprintete zur Leiter. Grim sah mein entsetztes Gesicht und reagierte sofort. Er verschränkte seine Finger, suchte sich einen sicheren Stand und nickte mir zu. Ich nahm Anlauf, setzte meinen Fuß in seine Phexleiter und er katapultierte mich nach oben. Erleichtert atmeten wir auf. Der Kampf war recht glimpflich für uns verlaufen, und selbst Aridhel stand wieder auf den Beinen und schien wohlauf zu sein. Nun mussten wir uns nur überlegen, wie wir der armen Bäuerin beibringen sollten, das ihre halbe Scheune eingebrochen war, ohne sie mit der Schilderung dieses Wesens zu sehr zu beunruhigen. Das würden wohl am besten Ginaya und ich übernehmen. Als wir in der warmen Stube von Rechhilde saßen und ich ihr gerade von dem „Zwischenfall“ berichten wollte, hob sie an zu erzählen. Ganz traurig berichtete sie uns, dass ihr Sohn Fredo seit Anfang Praios verschwunden war. Neugierig horchten wir auf und baten sie uns ihren Sohn zu beschreiben. Fredo schien verdächtig fiel Ähnlichkeit mit unserem getöteten Vampir(?) zu haben. Also erzählten wir der Bäuerin, dass der Thorwaler in seiner Wut einen Stützbalken beschädigt hätte und daraufhin ein Teil des Daches eingebrochen wäre. Entsetzt sah uns die Frau an. Mitten im Winter war eine kaputte Scheune alles andere als eine Lappalie. Sie tat mir leid. Es war fast dunkel als wir in Anderath ankamen. Schweigend begaben wir uns zum Abendmahl. Wir machten uns große Sorgen um Aridhel. War es wirklich ein Vampir gewesen, der ihn gebissen hatte? Und wenn, hieß das, das er auch zu einem werden würde? Was hatte ich bloß alles über Vampire gehört? Selbstmörder und Geldverleiher und Henker wurden doch angeblich zu welchen. Na, kein Wunder, das es in Weiden welche gab. Salz konnte helfen und Alraunenpulver hält sie fern. Irgendetwas war auch mit Praiosblumenkernen, aber ich bin zu müde, um mich zu erinnern, ich werde mich wohl schlafen legen. |
24. Travia, 2508 Horas
Ich bin noch immer voller Empörung! Bevor wir uns zur Nachtruhe begaben, entbrannte ein hitziger Streit. Ginaya wollte unbedingt Aridhel in Fesseln legen während der Nacht. Sie hielt ihn für eine potentielle Gefahr. Auch die Thorwaler brummten zustimmend. Sie fanden alle seine Reaktion auf den Knoblauch besonders verdächtig. Diese Crétins! Wenn ich eine rohe Schnecke essen würde, würde ich mir auch die Seele aus dem Leib kotzen. Elfen und Menschen bevorzugen nun einmal andere Speisen. Nur weil wir Milch trinken, glaubt Aridhel doch auch nicht das wir Kälber sind! Meine Gefährten waren nicht zur Vernunft zu bringen. Sie wollten den Elfen unbedingt gefesselt wissen und Wachen aufstellen. Aridhel willigte seufzend ein. Ich konnte es gar nicht fassen! Wie konnten sie allen ernstes von mir verlangen ihn zu binden? Seit wann behandelten wir so unsere Gefährten? Hatten wir Ginaya in Fesseln gelegt, als sie erzählt hatte, dass Borborads (!) Geist durch sie hindurch gefahren war und sie sich so komisch verhielt? Nein. Ich sitze gerade in der Kutsche nach Baliho. Allein, die anderen ziehen es vor zu reiten. Sie wollen wohl Aridhel im Auge behalten. Mir soll es Recht sein, so habe ich wenigstens Ruhe für meine Aufzeichnungen. Am späten Nachmittag sind wir dann endlich angekommen. Wieder einmal mieteten wir uns im „Kaiserstolz und Orkentod“ ein. Ich legte nur schnell mein Gepäck ab und machte mich auf den Weg zum Praiostempel. Ginaya war nicht so erfreut, die Geweihten zu dieser späteren Stunde zu stören, aber sie begleitete mich dennoch. Beim Marktplatz angekommen, klappte Ginaya auf einmal ihre Augenbinde herunter, und marschierte wie in Trance los, in Richtung SSW. Ich rief ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Also lief ich neben ihr her, damit ihr nichts geschehe. Sie steuerte genau den Pandralil an und kurz bevor sie sein Ufer erreichte, stellte ich ihr ein Bein. Sonst wäre sie vielleicht noch ins kalte Nass gesprungen. In unseren Zimmern erzählten wir den anderen, was Ginaya und ich erfahren und erlebt hatten. Aridhel sah sehr betrübt aus. Er schien sich große Sorgen zu machen. Die Stelle, wo der Vampir ihn gebissen hat, ist kalt und taub. Es war schon spät in der Nacht als sie heraufkamen und uns aufgeregt weckten. Sie hatten in der Stube Sefira, die Wahrsagerin aus Khunchom, getroffen! Sie hatte Ginaya die Karten gelegt, wie sie es einst für Grim getan hatte. Doch als sie „das große Rad“ fertig ausgebreitet hatte, war sie entsetzt aufgesprungen, hatte Ginaya die Inrah-Karten in die Hand gedrückt – sie würde sie dringender brauchen – und war dann verstört weggelaufen. |
26. Travia, 2508 Horas
Auch heute morgen war ein Teil von Aridhels Hals nach wie vor kalt und taub. Er wird sich doch nicht auch in so eine Kreatur verwandeln, oder? Wird man zu einem Vampir, wenn man gebissen wird, wenn man von einem verletzt wird, oder reicht es, wenn sie einen mit ihren durchdringenden Augen lange genug anstarren? Wir wissen es nicht. Gerüchte gibt es viele. Brunn Baucken meinte gestern, falls wir intensiven Kontakt mit der Kreatur hatten, sollten wir mit ihm gemeinsam zum Götterfürsten beten, dass er unsere Seelen, unser Blut und unser Herz reinige. Wir zögerten nur kurz, doch dann waren wir uns einig, so eine Zeremonie im Praiostempel könne sicher nicht schaden.
Brunn Baucken war schon, wie gestern, sehr nett zu uns und erklärte sich sofort bereit mit uns zu beten. Die Andacht schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Außer Aridhel – der stand – knieten wir alle am harten Steinboden. Als ich meine Beine schon längst nicht mehr spürte und das Gefühl hatte nicht eine Sekunde länger so verharren zu können, richtete sich der Hochgeweihte endlich auf. „Nun, das sollte genügen.“ Ginaya brach in die Bibliothek auf, Torben ging in die Stadt und wir restlichen drei machten uns auf den Weg zum hiesigen Efferdschrein. Vielleicht könnten wir dort eine Geweihte antreffen. Angeblich kann efferdgeweihtes Wasser Vampire töten. Ich musste nicht lange überlegen, wohin mich meine Schritte lenken sollten. Ich wusste, es gab hier einen Phextempel, also machte ich mich auf die Suche nach ihm. Zeichen auf der Straße und an den Häusern, die oft den Weg weisen, konnte ich nirgends entdecken. Ich setzte mich auf den Marktplatz und beobachtete die Menge ein wenig. Es dauerte nicht lange, da wurde ich auf einen kleinen Beutelschneider aufmerksam. Der wusste bestimmt wo der Tempel war. Ich folgte ihm also, ohne das er auf mich aufmerksam geworden wäre. Schließlich verschwand er in einem kleinen Haus. Nachdem ich mich ein wenig umgesehen hatte und mir relativ sicher war, dass niemand außer dem Dieb drinnen war, öffnete ich die Tür und trat ein. Der Tempel war ein unscheinbares Haus im Norden. Ich unterhielt mich ein wenig mit dem hiesigen Geweihten Neskor Erfoldt. Er erzählte mir, was es mit diesem Metzenschnitter auf sich hat. Seit Praios wurden immer wieder Dirnen getötet, daher also der ungewöhnliche Name. Die meisten Morde geschahen im Hafenviertel. Das verwundert nicht, angesichts der Opfer, die der Mörder erwählt. Zum Abendbrot kehrte ich zurück in die Schenke. Die anderen saßen schon am Tisch und lauschten gespannt Torbens Erzählungen. Auch er hatte in den Straßen von dem Metzenschnitter erfahren. Das letzte Opfer ist erst gestern ermordet worden und so konnte er sich ihre Leiche ansehen. Sie war zerstückelt, Gliedmaßen und Kopf waren abgetrennt worden. Auf der Brust war ihr ein Traviazeichen eingeritzt worden und darunter stand das Wort Rache in ihr Fleisch geschrieben. Was uns aber wirklich aufhorchen ließ war, als Torben meinte, er hätte zwei Bissmale an ihrem Hals entdeckt. Also trieb auch hier ein Vampir sein Unwesen. Als Grim und Torben ins Hafenviertel aufbrachen, um mehr über die Morde herauszufinden und Ginaya und Aridhel zur alten Eiche gingen, um sich die magischen Linien noch einmal anzusehen, machte ich mich auf den Weg zum Phextempel. |