Das Mal des Vampirs
3. Boron, 2508 Horas
Wir reisen heute nach Altnorden, um dort nach dem Rechten zu sehen. Ginaya wird vorreiten, um sich nach vermissten Bauarbeitern in den letzten Tagen zu erkundigen und mit den Geweihten der Stadt zu sprechen. Wir werden uns auf unserem Weg mehr Zeit lassen und die Scheunen durchsuchen. Vielleicht finden wir weitere Opfer, oder sogar Vampire.
Am frühen Abend trafen wir in Altnorden ein. Unsere Suche war ergebnislos verlaufen. Ginaya fanden wir im hiesigen Gasthaus. Sie hatte schon den einen oder anderen Bärentod getrunken. Wütend erzählte sie uns, wie schlecht man sie hier behandelt hätte. Ich bin so wütend! Am Liebsten würde ich meine Sachen packen und nach Hause zurückkehren. Bei der Gelegenheit könnte ich dann gleich dieses verdammte Kaff in Schutt und Asche legen. Langsam frage ich mich, ob es wirklich so schlimm wäre, wenn hier einer nach dem anderen von Deres Antlitz getilgt wird, oder ob das nicht viel mehr ein Segen der Götter wäre?! Am Abend ging ich schweigend mit zur Baustelle. Da erwartete mich gleich die nächste Überraschung. Der Vogt war nicht informiert, dass wir über seine Leute wachen würden und die Bauarbeiter vertrieben uns, als wir uns der halbfertigen Wehrmauer näherten. Also mussten wir im Halbdunkel, heimlich, die Männer und Frauen im Auge behalten. Das erwies sich aber als faktisch unmöglich, da die Baustelle extrem unübersichtlich war und sich viele dunkle Verstecke für einen Vampir angeboten hätten. Er hätte praktisch vor unserer Nase jemanden töten können und wir hätten es nicht bemerkt. |
4. Boron, 2508 Horas
Grim und ich waren die ersten die heute morgen wach wurden – die anderen waren ja auch länger aufgeblieben. Wir setzten uns an einen Tisch und ich spendierte ihm einen Bärentod. Schließlich ist heute sein Tsatag. Bis die anderen in die Stube kamen, hatten wir schon das eine oder andere Gläschen getrunken. Beim Frühstück begannen wir dann darüber zu diskutieren, was wir jetzt weiter machen wollten, was aber bald in einen ordentlichen Streit ausartete. Ich war nach wie vor der Meinung, wir sollten nach Norden ziehen und die Gegend um die Acheburg untersuchen. Wenn dort einer der ältesten Vampire in Weiden lebte oder gelebt hatte, dann kannte man sich in der Gegend sicher gut mit diesen Kreaturen aus und vielleicht würden wir auch den einen oder anderen Hinweis in der umfangreichen Bibliothek von Rhodenstein finden können. Ginaya legte einen Stern, mit Erde von Altnorden als Signifikator, um zu erfahren, was wir in Bezug auf das Dorf tun sollten. Die erste Karte – das, was förderlich ist – war Ingerimm. Die zweite Karte – das, was schon geschehen ist – war der Namenlose. Die dritte Karte – das, was schlecht ist – die umgekehrte Feuer-Sechs. Die vierte Karte – das, was noch geschehen wird – war der Magier des Feuers. Wir waren uns noch gar nicht im Klaren darüber, was wir von alldem halten sollten, als es an der Tür klopfte. Der Wirt stand draußen. Er hatte eine Nachricht für uns - von der Boroni, wie er uns später verriet. Ginaya nahm das Schreiben an sich und las es sich durch. Ernst sah sie mich an: „Sag kennst du Pailos?“ Pff, natürlich kannte ich Pailos. „Sie ist eine der Zyklopeninseln.“ „Hast du dann auch schon mal von Rohafan von Pailos gehört?“ Ginaya hatte gerade geendet, als ein dumpfes, mulmiges Gefühl in mir hoch kroch. Ich erinnerte mich plötzlich an einen Traum, den ich heute nacht hatte: Schön langsam verging mir die Lust auf Unternehmungen an diesem Tag. Zuerst die schlechte Tageskarte und dann auch noch die Erinnerung an diesen Traum... Bevor wir uns zur Mauer begaben, führte ich auf unserem Zimmer noch ein langes Gespräch mit Aridhel. Um ehrlich zu sein, weinte ich mich eher an seiner Schulter aus. Ich entschuldigte mich bei ihm für mein Verhalten beim Vogt und erzählte ihm, wie wütend mich die Leute hier machen würden. Wie verletzend ich Ginayas Handeln in den letzten Wochen oft gefunden hatte und das ich das Vertrauen in sie und in unsere Gemeinschaft verlor. Er versuchte mich zu trösten. Und wie immer fand er die rechten Worte zur rechten Zeit. Trotz Aridhels liebevoller Worte, die mich aufgerichtet hatten, war meine Stimmung ziemlich gedrückt, als wir die Baustelle erreichten. Meine Freunde bezogen Stellung in der Nähe der Arbeiter und ich kletterte auf eine der Baracken, um eine bessere Übersicht zu haben. Dann spürte ich das Kribbeln im Nacken. Meine Hand hatte den Gürtel mit meinen Waffen noch nicht erreicht, als ich schon von hinten gepackt wurde. Mit stählerner Hand drückte mir der Mann die Kehle zu. Ich tastete nach dem Pflock, zog ihn, und rammte ihn der Gestalt tief in den Arm. Ich hörte sein kehliges Lachen an meinem Ohr: “Hahaha. Damit kannst du mir nichts anhaben.“ Angst stieg in mir hoch. Ich vermochte kaum noch zu atmen und sein Griff war so eisern, dass ich es nie und nimmer vermocht hätte mich zu befreien. Noch einmal spannte ich meinen Körper und rammte dem Vampir – denn das war er zweifelsohne – den Pflock in den Bauch. Nicht die geringste Wirkung! Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Panik machte sich in mir breit. Meine Freunde würden mich hier nie und nimmer finden. Aridhel! Verzweifelt klammerte ich mich an diesen Hoffnungsfunken. Vielleicht würde er mich hören. Ich sammelte all meine verbliebenen Kräfte und krächzte ein heißeres: „Hilf mir!“ Langsam rappelte ich mich hoch. Mein Hals und meine Kehle schmerzten erbärmlich. Da, eine helfende Hand! Ginaya griff mir unter den Arm und zog mich hoch. Ich hörte Kampfeslärm. Nach und nach kamen meine Sinne und auch meine Erinnerung wieder zurück. Ich griff zu meinem Hals. Warmes Blut rann an ihm hinab. Meine anderen Gefährten kämpften mit dem Mann, der mich angefallen hatte. Mehrmals versuchte ich vergeblich den Pflock richtig zu platzieren, doch schließlicht saß er. Ein Treffer mitten ins Herz. Ein kleiner Schmerzschrei entrang sich der Kehle des Vampirs, doch dann zog er ihn heraus und warf ihn weg. Also war es wahr, unsere Pflöcke zeigten keine Wirkung bei dieser Kreatur. Ich zog mich zurück. Ich war keine Hilfe mehr in diesem Kampf. |
5. Boron, 2508 Horas
Die Stelle am Hals, an der mich der Vampir gebissen hat, ist taub und kalt. Genauso wie Aridhel seine. Ich muss fast lachen, wenn ich daran denke, auch wenn der Schreck noch tief sitzt. Zuerst rette ich ihn vor einem dieser unheiligen Wesen und dann er mich. Und wir beide haben uns selbst durch Unbedachtheit und mangelnde Vorsicht in diese Lage gebracht.
Jetzt tragen wir beide dieses Mal wahrscheinlich für den Rest unseres Lebens. Möge es uns immer gemahnen vorsichtiger zu sein, aber uns auch daran erinnern, dass wir ohne denn anderen nicht mehr leben würden. Das Frühstück verlief ziemlich schweigsam. Der Schreck sitzt uns noch allen in den Gliedern, das wir so machtlos gegen dieses Wesen waren. Wir wissen nicht, was wir noch tun können. Die nächste derartige Begegnung könnte unsere Letzte sein. Ich ging auf mein Zimmer um mich fertig zu machen und kurz darauf stand Ginaya in der Tür. Ein wenig verlegen sah sie mich an. „Joela? Ich war gerade bei Aridhel, ich hab mich entschuldigt bei ihm, dafür, dass ich nur drei Zimmer genommen habe in Altnorden. Er meinte, ich solle mich lieber bei dir entschuldigen.“ Verwundert sah ich sie an. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich trieb Nordstern zur Eile an, was sich als gar nicht so einfach erwies, denn es war ein schöner Tag, den viele Leute zum Reisen nutzten. Ich fragte ihn, was ihn nach Weiden führte und er erzählte, dass er im Bornland zu Gast gewesen sei. Doch dann hätten ihn Gerüchte ereilt, dass seine Grafschaft Winhall zwischen die Fronten der streitenden Praioskirche geraten sei. Aufständische Bauern sollen über das Land ziehen. Aus diesem Grund ist er nun auf dem Heimweg, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Er meinte, er hätte aber einen Umweg machen müssen, da es nicht möglich gewesen sei die Sichelwacht zu passieren. Hastig berichtete ich ihm was wir bisher herausgefunden hatten und was für eine dunkle Plage über das Herzogtum hereingebrochen war. Mit gerunzelter Stirn hörte er sich meinen Bericht an. Als ich geendet hatte, mischte sich Shanhazadra ein. Ihre Stimme war ebenso lieblich, wie ihr Antlitz. Genauso, wie man es von einer Dienerin der heiteren Göttin erwartet hätte. Es war viel später, als ich geplant hatte, als ich in Baliho ankam. Ich hielt direkt auf den Tempel des Praios zu. Phex sei Dank, hatte Brunn Baucken sofort Zeit mich zu empfangen. Ich berichtete ihm von unserem vergeblichen Kampf letzte Nacht und das wir dringend rohalsche Einsichten bräuchten, wie wir weiter vor gehen sollten. Nordstern und ich waren beide sehr erschöpft, als wir wieder in Altnorden ankamen. Zurück hatte ich uns beide nicht geschont, um vor Einbruch der Dunkelheit die Stadt zu erreichen. Meine Freunde saßen im Gasthaus und waren in ausgelassener Stimmung. Sie erzählten, sie hätten Halman – den Vampir den wir gestern vergeblich bekämpft hatten – mit der Hilfe einiger Dorfbewohner vernichtet. Dieser Schock wirkte und riss die Leute aus ihrer Lethargie. Es sprach sich wie ein Lauffeuer herum, dass Halman ein „Mörder“ wäre. Bald darauf streifte ein wütender Mob durch die Straßen auf der Suche nach dem ehemaligen Vorarbeiter. Aridhel, Grim, Ginaya und Torben fanden schließlich das Versteck des Vampirs und gut und gerne ein Dutzend Leute stürmten ohne Umschweife in das Haus und zerrten Halman ans Licht. Als dieser jedoch zu Staub zerfiel, angesichts der Macht des Herrn Praios, waren die Dorfbewohner auch genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren. Ach, diese Weidener... Auch ich erzählte meinen Freunden von meinen Erlebnissen. Besonders Ginaya wollte jede Einzelheit von meiner Begegnung mit Raidrai Conchobair wissen. Ich sagte, Shanhazadra hätte mich vor der Baronesse von Menzheim gewarnt und es waren gleich alle dafür, dieser „edlen Dame“ morgen einen Besuch abzustatten. Ich zeigte ihnen auch das Geschenk von Brunn Baucken und sie waren nicht minder erstaunt, über diese großzügige Geste, als ich es gewesen war. |