Die Drachenpforte
Inhaltsverzeichnis
28. Ingerimm, 2507 Horas
Wir setzten unsere Reise Richtung Dragenfeld fort. Kurz nach Salthel teilte sich der Weg. Wir folgten dem Goblinpfad in Richtung Drachenpforte. Meine Gefährten kümmern sich gerade um ein paar Männer am Wegesrand. Einer von ihnen scheint tot zu sein. Sie müssen wohl entflohene Häftlinge sein, denn alle drei tragen Fußfesseln. Ginaya meinte gerade, dass sie anscheinend auf Korobar gestoßen sind. Die unglücklichen Thore wollten ihn wohl überfallen. Dabei wurde ihr Kamerad getötet und eine von ihnen entführt. Hesinde, segne diese Männer bitte mit deiner Gnade! Wie kann man nur so dämlich sein und einen Magus überfallen? Gegen Mittag sind wir dann durch Sichelweg gekommen. Eine alte Witwe bat uns um Hilfe. Ihr Sohn Mikal ist seit gestern verschwunden. Sie stammelte irgendwas von „der Schwarze Mann hat ihn geholt“. Als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, sind wir dann später auf drei Raben die auf einem Ast saßen, gestoßen. Natürlich habe ich mich sofort zu einer Rast niedergelassen. Torben hat das anscheinend nicht ganz verstanden – Thorwaler eben – und fragte mich, wann wir weiterziehen könnten. Ich antwortete: „Wenn die Raben verschwinden.“ Was macht dieser von den Zwölfen-Verlassene daraufhin?! Er verscheucht sie!!! Danach hatte ich erst mal genug Aufregung für den heutigen Tag und als wir am späten Nachmittag Runhag erreichten, kehrte ich mit Mutter Linai in das Dorfgasthaus ein, während die andere - glaube ich - Pflanzen suchen gingen. Zurück in der Schenke überwand ich mich endlich und erzählte meinen Freunden, welch furchtbarer Traum mich gequält hatte. Danach berichteten auch Mutter Linai, Ginaya und Grim, was ihnen vor zwei Tagen träumte. Bald darauf gingen wir schlafen. Wir waren alle ziemlich erschöpft von der anstrengenden Reise und den sehr kurzen Nächten. „Ich falle. Mit mir fallen andere. Es gibt keinen Boden. Nicht einmal oben und unten. Wir fallen vom hohen Turm der Zeit ins Jetzt. Die anderen fallen, weil ich falle. Ich bin ein gefallener Alverans. Dann wurde ich von Torben geweckt. Ich konnte mich nicht rühren. Meine Knochen schienen zersplittert. Mein ganzer Körper war von blauen Flecken übersät. |
29. Ingerimm, 2507 Horas
Ich war offensichtlich nicht die Einzige, die diesen Traum gehabt hatte. Auch Ginaya und Aridhel teilten dieses Schicksal mit mir. Schweigend verzehrten wir unser Frühstück, machten unsere Packpferde fertig und brachen auf.
Die Straße bisher war gut ausgebaut, frisch gepflastert. Die Weidener wollen wohl einen sicheren und schnellen Weg ins Bornland bauen. Nun stehen wir vor einer zerstörten Steinbrücke, die anscheinend erst frisch gebaut worden war. Da hat wohl jemand beim Einsturz nachgeholfen. Als wir zurückkamen, waren die Bäume gefällt und die halbe Brücke stand schon. (Die Bäume scheinen freiwillig umzufallen, wenn Grim mit der Axt auf sie zukommt.) Ginaya wollte ein wenig mithelfen beim Bau. Nun, es bedarf wohl keines weiteren Kommentars. Die beiden Thorwaler wären ohne sie sicher schneller vorangekommen. Wir setzten unseren Weg fort. Der Wald wirkte irgendwie bedrohlich. Die Pferde tänzelten und schnaubten nervös. Aridhel und Ginaya sagten es röche nach „Blut und Verderben“. Der Kampf war kurz und heftig. Ich wurde von einem Bolzen, der irgendwoher aus dem Gebüsch kam, schwer in die Brust getroffen und musste mich frühzeitig aus dem Geschehen zurück ziehen. Obwohl mittlerweile noch zwei Männer aus dem Wald aufgetaucht waren, die meine Freunde bedrängten, schienen sie die Oberhand zu behalten. Also sah ich mich ein wenig um. Korobar konnte ich nirgends erblicken. Er hatte sich wohl zurück gezogen. Wir ritten weiter in die Richtung, aus der der Norbarde gekommen war. Irgendwie schien sich der Wald verändert zu haben. Wir wussten nicht, ob uns die Erschöpfung einen Streich spielte oder die Natur tatsächlich anders war. Inzwischen war es schon spät geworden und unsere Umgebung wirkte immer bedrohlicher auf uns. Also machten wir uns daran ein stückweit entfernt einen Rastplatz zu suchen. Natürlich stellten wir Wachen auf, immerhin trieb sich Korobar ja noch irgendwo in der Umgebung herum. In der Nacht wurden wir abermals vom Stöhnen einer unserer Gefährten geweckt. Torben wand sich in seinem Schlafsack. Überall war Blut. Verzweifelt versuchten wir ihn aufzuwecken und dann hörte sein Herz auf zu schlagen. Grim begann sofort damit ihn wieder zu beleben. Regelmäßig und so kraftvoll, dass Torbens Rippen unter dem Druck seiner Hände knirschten. Endlich, nach einer halben Ewigkeit, wachte Torben schreiend auf. |
30. Ingerimm, 2507 Horas
Ich finde keine Worte, um das zu beschreiben, was hier vor sich geht. Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen und ich bete inbrünstig zu den Zwölfen, dass ich so etwas auch nie wieder sehen muss. Die Bäume scheinen sich zu bewegen. Sie drehen und winden sich, wie unter Schmerzen. Manchmal ist die Erde aufgebrochen. Es sieht fast so aus, als hätte jemand die Herrin Tsa selbst verletzt. Den Gefangenen haben wir bereits heute morgen zurück gelassen. Er redete ständig von seinem „Meister Korobar“. Das hätten wir einfach nicht den ganzen Tag ertragen. Wir fühlen uns ohnehin alle mehr als schlecht. Da brauchen wir nicht noch zusätzlich so einen Querulanten. Irgendwann haben wir dann endlich die Abzweigung nach Zollhaus erreicht. Unsere Pferde waren mittlerweile furchtbar nervös und unruhig. Sogar die thorwalschen Langmähnen tänzelten wie kleine Füllen! Die Gegend wird immer unheimlicher. Wir hören kaum noch Tiergeräusche, die Bäume sind kahl und wir stoßen immer wieder auf tote Missgeburten und andere Kadaver. Doch nirgends sind Maden oder Fliegen zu sehen. Auch heute Nacht ereilte wieder einen von uns ein übler Traum. Grim war es diesmal und ich dachte wirklich sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Er blutete aus jeder einzelnen Pore. Dunkelrote Bäche rannen in Strömen von ihm hinab. Egal was wir auch versuchten, wir konnten ihn einfach nicht aufwecken. |
1. Rahja, 2507 Horas
Als wir heute aufbrechen wollten, hörten wir plötzlich Stimmen hinter einem Hügel. Aridhel und ich haben uns dann näher geschlichen. Hinter der Kuppe lagerten gut hundert Menschen. Sie schienen allesamt sehr erschöpft zu sein. Aridhel und ich sind zurück zu unserer Gruppe und haben Mutter Linai und Torben geholt. Gemeinsam sind wir dann ins Lager gegangen.
Dort bot sich ein äußerst merkwürdiger Anblick. Keiner der Frauen oder Männer schien unter 30 zu sein, viele waren Greise und schienen Boron schon viel näher zu sein als Tsa. Nach einer kurzen Beratung mit meinen Gefährten beschlossen wir, Mutter Linai und Delian von Wiedbrück mit den Dorfbewohnern, die auf dem Weg Richtung Salthel waren, zurück zu schicken. Beide sehen schon sehr schwach aus und wirken irgendwie älter. Auch wir haben uns ein wenig verändert. Unsere Haare und Fingernägel sind in den letzten Tagen sehr stark gewachsen. Vielleicht liegt wirklich ein Fluch oder Zauber auf dieser Gegend, der uns schneller altern lässt. Wenn dem so ist, dann würden die beiden unsere weitere Reise wahrscheinlich nicht überleben. Als wir wiederum zu den Dorfbewohnern gingen, bemerkten wir das das Lager von einer Horde Goblins umringt war. Es waren Dutzende! Torben und ich suchten nach der Anführerin um vielleicht Verhandlungen mit den Rotpelzen aufzunehmen. Beim Näherkommen bemerkten wir, dass auch die Goblins „alt“ waren. Zumindest hatten sie alle graue Strähnen in ihrem Fell. Offensichtlich hatte sie das gleiche Schicksal ereilt, wie die Leute aus Dragenfeld. Weiter ging es also nach Dragenfeld. Es wurde immer beschwerlicher für uns voran zu kommen. Wir schienen uns dem Zentrum dieser unheiligen Geschehnisse zu nähern. Unsere Kräfte ließen nach, unsere Haut fühlte sich fahl und rissig an, unglaublicher Hunger quälte uns. So schleppten wir uns durch das Tal, das von einer zentimeterdicken Staubschicht überzogen war. Kein Gras, keine blühenden Bäume, keine Tiere, nicht einmal ein Lufthauch regte sich. Ich für meinen Teil wäre bestimmt umgekehrt, wenn mir nicht klar gewesen wäre, dass ich es niemals lebend zurück schaffen würde. Wir werden uns hier ausrasten und morgen die gut 500 Schritt entfernte Feste stürmen. Dafür werden wir alle unsere Kräfte brauchen können. Korobar hat bestimmt eine Überraschung für uns vorbereitet... |